Ein hochwertiger Industriearbeitsplatz in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WbfM)? Macht das Sinn? Diese Frage ist durchaus berechtigt und die Werkstätten der Barmherzigen Brüder in Straubing haben sie sich auch für einen kurzen Moment gestellt. Betrachtet man jedoch die Gesamtsituation der Werkstätten, zeigt sich folgendes Bild: Die Kunden verlangen auch von den Barmherzigen Brüdern eine gleichbleibend hohe Qualität und Termintreue bei sehr großen Stückzahlen. Der eigene Anspruch sei es unter anderem, die Rahmenbedingungen für die Menschen so zu gestalten, dass sie diese Herausforderungen gut bewältigen können. Dazu kommt der Auftrag der Werkstätten, Menschen zu fördern und zu befähigen, dass sie auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln können.

In Zeiten von Industrie 4.0 und Digitalisierung wird inzwischen eine Vielfalt an technischen Lösungen für genau diese Herausforderung angeboten. In der DE software & control GmbH haben sie einen kompetenten Partner gefunden, der viel Erfahrung mit Werkerassistenzsystemen aus dem industriellen Umfeld mitbringt. Gemeinsam wurde bereits im Juni 2019 für einen von vielen Anwendungsfällen eine maßgeschneiderte Lösung gebaut, die inzwischen weiterentwickelt wurde. Am 28. Januar 2020 hat Gerhard Eichner, Produktmanager der DE software & control mit einem Filmteam die Werkstätten der Barmherzigen Brüder in Straubing besucht, um die neue Version von Experten vor Ort testen zu lassen und einen Film für das Unternehmen drehen zu lassen.

Im Gespräch mit den Beschäftigten wurde schnell deutlich, dass alle gut mit dem neuen System zurechtkommen. Werkstattgängerin Claudia Schlögl sagt nach dem ersten Test: „Dieser Arbeitsplatz ist eine Weiterentwicklung der Ursprungsversion und im Vergleich deutlich verbessert.“

„Digitalisierung meets WbfM“

Die Aufgabe besteht darin, Waren zu kommissionieren. Bis zu einhundert verschiedene Einzelteile, die sich auch noch sehr ähnlich sehen, müssen in unterschiedlichen Stückzahlen verpackt werden. Ohne technische Unterstützung konnten solche Aufträge in der Vergangenheit nur mit einem großen Aufwand an Hilfsmitteln und mit viel Personaleinsatz gestemmt werden. Bei den Werkstattbeschäftigten selbst hielt sich die Freude über diese Aufträge in Grenzen. Heute ist es total easy.

Der Arbeitsplatz besteht aus einem Tisch mit integriertem Computerbildschirm und einer größeren Auswahl an Schütten. Diese sind an vier schwenkbaren Armen befestigt. Auf dem Bildschirm wird das jeweilige Produkt in der Reihenfolge angezeigt, wie es für den Kommissionierungsauftrag nötig ist. Zudem leuchtet an der entsprechenden Schütte, in der sich das Produkt befindet, ein grünes Lämpchen. Hat der Beschäftigte diesen Arbeitsschritt durchgeführt, bestätigt er dies mit einem Taster. Daraufhin wird der nächste Arbeitsschritt angezeigt, zudem leuchtet an der benötigten Schütte ein weiteres grünes Lämpchen.

Beschäftigte, die den neuen Arbeitsplatz ausprobieren, bewerten ihn sehr positiv. Durch die exakte Anzeige der Arbeitsschritte und der grünen Lämpchen ist es den Beschäftigten möglich, den langen, mehrteiligen Kommissionierungsauftrag komplett durchzuführen. Jeder Bediener kann in seinem, für sich idealen Tempo, ganz allein eine umfangreiche Verpackungsarbeit erledigen. Und genau das ist es, was diesen Arbeitsplatz so besonders macht. Er passt sich komplett an den Menschen an und befähigt ihn, komplexe Arbeiten selbständig zu erledigen.

Im Testdurchlauf kamen Entwickler und die Experten vor Ort ins Gespräch und diskutierten mögliche Verbesserungsvorschläge. In der Erprobung zeigte sich schnell, wie individuell die Fähig- und Fertigkeiten der Einzelnen sind und dass eine entsprechende Anpassung des Arbeitsplatzes dafür erforderlich ist.

Anpassung an den Menschen

Patrick Weigert, der beide Modelle getestet hat, meint dazu: „Mit dem neuen Modell kann ich Aufträge mit Kleinteilen komplett selbstständig bearbeiten. Die Schütten können auf meine Höhe eingestellt werden und ich kann mein Tempo bestimmen, das gefällt mir.“ Auch Gruppenleiter Hans Tanzer ist vom neuen System begeistert und sagt: “Es können praktisch keine Fehler gemacht werden. Der Bildschirm mit der Anzeige, Zahlen und Symbolen und die Lichtsignale zeigen immer an, wie es weitergeht. Wir haben mit dem Vorgängermodell rund 3000 Beutel verpackt, ohne einen einzigen Fehler. Toll!“ Ein moderner, computergesteuerter Arbeitsplatz kann Unsicherheiten durch individuelle Anpassung nehmen, ohne, dass die Arbeit von einer Maschine übernommen wird. Bereits hier ist die eingangs gestellte Frage über die Sinnhaftigkeit mit einem klaren „JA“ zu beantworten.

Was aber das Wichtigste an der ganzen Thematik ist: der Umgang mit einem modernen Arbeitsplatz macht den Beschäftigten Spaß und vermittelt Sicherheit. Diese Sicherheit erzeugt Selbstvertrauen. Und hier schließt sich der Kreis. Mit diesem Arbeitsplatz werden nicht nur die Rahmenbedingungen für die Beschäftigten geschaffen, damit sie komplexe Aufträge abarbeiten können. Über Wertschätzung und Sicherheit erzeugen wir aber auch Selbstvertrauen. Vielleicht sogar die Möglichkeit, später an einem ähnlichen Arbeitsplatz in einem Unternehmen am ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein.

Quelle: Barmherzige Brüder Straubing

Den Artikel der Werkstätten können Sie außerdem in der Hauszeitung der Barmherzigen Brüder lesen: https://barmherzige-straubing.de/fileadmin/user_upload/aktuelles/Hauszeitung/Miteinander_Maerz_2020_so_wird_gedruckt.pdf

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